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Afghanistan-Blog #1: Aufbruch nach Afghanistan

Flieg ich also nach Afghanistan. Vom 14.4. bis 24.4.2008 werde ich in Kabul und Jalalabad sein, Opium- und Rosenfelder besichtigen (die letzteren sollen die ersteren ersetzen) und mir ganz allgemein eine der ungemütlichsten Ecken der Welt anschauen.


Schon seit Wochen nimmt mich die Vorbereitung auf diese bisher abenteuerlichste Reise meines Lebens mental in Anspruch. Neun Impfungen, zwei Zusatzversicherungen und eine gute Ausrüstung sollen mich vor dem Schlimmsten bewahren, wobei das Schlimmste eher von Menschen droht als von Erregern, Klima oder Flora und Fauna. Drei aktuelle Erlebnisberichte von Afghanistanreisenden in Buchform, diverse Reise- und Sprachführer sowie unendliche Internetrecherche sollen mich auf die Verhältnisse im Lande vorbereiten. Patientenverfügung und andere letzte Verfügungen für den Fall des Falles sind getroffen. Die Nachrichtenlage wird täglich gesichtet. Noch immer kann die Reise im letzten Moment platzen. Die drei Bücher heißen übrigens: "Treffpunkt Kabul", "Endstation Kabul" und "Kabul, ich komme wieder". Meine Güte.

Auf eigene Faust reise ich natürlich nicht. Die Deutsche Welthungerhilfe www.welthungerhilfe.de ist seit zwölf Jahren in Afghanistan tätig. Sie organisiert diese Reise für drei Journalisten, einer davon bin ich. Das Thema: Rosen statt Opium. In der Gegend von Jalalabad werden wir Projekte besichtigen, die Rosen für die Rosenölgewinnung anbauen und dieses Rosenöl nach Deutschland an einen Hersteller von Naturkosmetik verkaufen. Ein Pilotprojekt dafür, Afghanistans Bauern eine Alternative zum lukrativen Opiumanbau zu bieten. Spannend die Frage, ob dem Projekt nicht gerade ein Erfolg gefährlich werden kann.

Im zweitgrößten Opiumanbaugebiet Afghanistans zwischen Jalalabad und dem Khyberpass beobachten die Drogenbarone sicher sehr genau, welche Wirkung von den Rosenanbauprojekten ausgeht. Sie scheinen keine ernsthafte Gefahr für ihre Geschäfte zu befürchten, sonst hätten sie dem Treiben ggf. schon blutig Einhalt geboten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Schon im Vorfeld hat man uns gewarnt, dass wir nicht erwarten können, dass alle unsere Fragen beantwortet werden. Die Sicherheit der Mitarbeiter und Bauern vor Ort gehe vor.

Sicherheitsfragen werden jeden unserer Schritte dominieren. Meine Idee, ein paar Blogger aus Kabul zu kontakten und in die Büros der Welthungerhilfe zu einem Talk einzuladen, stößt bei meinen Gastgebern nicht auf Gegenliebe. In Afghanistan werde sehr genau beobachtet, mit wem sie in Berührung kämen. Schon ein Welthungerhilfe-Auto auf dem falschen Parktplatz, eine Person mit dem falschen Ruf vor dem Büroeingang könnten ihre Beziehungen zu den lokalen Entscheidern drastisch verschlechtern, wenn nicht Schlimmeres. In Afghanistan habe jeder eine "Vergangenheit", erklärt mir die Mitarbeiterin der deutschen Pressestelle der Welthungerhilfe. Und irgendjemand wisse immer Bescheid und könnte Anstoß nehmen.

Ich stelle mir vor, welche Machtkämpfe dieses Land seit Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten zerreist. Wie oft sich Männer einer Seite verschrieben und auf dieser Seite gekämpft aber vielleicht auch gefoltert und gemordet haben. Wie oft sie die Seite aber auch gewechselt haben oder wechseln mussten. Wess´ Brot ich ess, des Lied ich sing. Oder auch: Cuius regio, eius religio (Wem das Gebiet gehört, der bestimmt die Religion). Haben Männer in Afghanistan eine Wahl, wem sie sich anschließen oder wen sie dulden oder wird das nicht vor allem dadurch bestimmt, wo der Clan angesiedelt ist und wer in diesem Gebiet gerade das Sagen hat? In einem Land, in dem der Clan mangels stabiler gesellschaftlicher Strukturen der einzige funktionierende Rückhalt für eine Person ist, ist die Wahlfreiheit in solchen Fragen vielleicht noch kleiner als wir sie uns vorstellen: Egal wo sich ein afghanischer Mann aufhält - über seinen Clan kann man ihn womöglich immer unter Druck setzen. Und es sind nicht nur Einschüchterungen sondern Grausamkeiten und Tod, die Familienmitglieder und Clanmitglieder zu gewärtigen haben.

Werden wir darüber etwas erfahren? Und sicher werde ich mich nicht auf eigene Faust an einem unsicheren Ort mit einem Blogger treffen, den ich nur über das Internet kenne. Bei solchen Aktionen haben auch gestandenen Journalisten schon den Kopf verloren - buchstäblich.

Das kanadische Magazin Globe and Mail hat mit Taliban gesprochen. 12 von 42 haben Angehörige in Luftangriffen durch westliches Militär verloren, 21 von 42 ihre Opium-Ernte durch Anti-Drugs-Teams verloren. Während den Führern der Taliban erhebliche Einkünfte aus dem Opiumgeschäft nachgesagt haben, verteidigen die einfachen Kämpfer ein mageres Auskommen in einer Situation, in der andere Einkommensquellen rar sind. Für sie gehe es nicht um Profit, sondern um das pure Überleben.

Für die Rekrutierung der Taliban ergeben sich daraus zwei wichtige Hebel die aber beide an der derselben Stelle ansetzen: Bei der Familie und dem Clan. Die Antidrogenpolitik bedroht das wirtschaftliche Überleben ( = Verhungern) des Clans und die Tötung von Angehörigen durch den Westen erfordert nicht so sehr persönliche Rache als vielmehr die Verteidigung der Sicherheit aber auch der Ehre des Clans. Das sind Grundwerte der afghanischen Gesellschaft, deren Bedeutung wir uns hier kaum vorstellen können, ebenso wenig die Bedeutung des bewaffneten Kampfes für die Ehre des Mannes. Hier geht ein "Mann" nicht zum Gericht sondern er greift zum Gewehr. Sonst ist er nach seinen eigenen und den allgemeinen Ehrbegriffen kein Mann, aber eine Alternative zum Mann-sein gibt es auch nicht. Eigentlich sollten die Amerikaner dafür Verständnis aufbringen können.

Wenn ich die Begegnungen und Erlebnisse der oben genannten Buchautoren Revue passieren lasse, dann erinnert mich das an die Orientromane von Karl May, insbesondere "Durchs wilde Kurdistan" und "In den Schluchten des Balkan". Auch dort ist nur ein Mann, wer dafür auch mit der Hand am Messer oder Gewehrgriff einstehen kann und Räuber sind ehrenhafte Menschen. Aber so "orientalisch" oder "balkanesisch" ist das garnicht. Schließlich hat man noch vor 100 oder 150 Jahren auch in Europa erwartet, dass ein Mann körperlich und in Waffen wehrhaft ist und sich gegen Raub ebenso zur Wehr setzen kann wie gegen die Verletzung seiner Ehre. Überflüssig werden diese Begriffe und Werte wohl erst, wenn die persönliche Gewalt auf die (demokratische und rechtsstaatliche) staatliche Gewalt übergeht und das Individuum und seine Rechte schützt.

Davon ist Afghanistan weit entfernt. Und die Gangstas Berlins entdecken die alten Männlichkeitswerte wieder, sicher kein Zufall. Auch kein Zufall, das Karl May schon darüber schreibt, wie sich die Männerehre durch falsche Führer ausbeuten lässt. So wird aus der Verteidigung des Clans ein Dschihad-Kämpfer für den Islam an sich. Wie anders soll man sich erklären, dass ein ums Überleben der Familie kämpfender Bauer oder Nomade sich einem so abstrakten und von seinem persönlichen Nutzen in dem seiner Familie so weit entfernten Ziel verschreibt, wenn nicht dadurch, dass Mannesehre, Clanehre und Islamismus geschickt verknüpft werden? Für meine Reise wird spannend, ob sich über die Mutmaßungen sprechen lässt und nicht zuletzt, an was für Maßstäben wir selbst gemessen werden in unseren Begegnungen. So als Männer.

Die Wahlmöglichkeiten der Männer mögen stark unter Druck stehen, die der Frauen scheinen nach wie vor kaum zu existieren. Wir können noch nicht einmal sicher sein, außerhalb der Büros der Welthungerhilfe mit Frauen sprechen zu können. Selbst den Mitarbeiterinnen gegenüber müssen wir sehr behutsam sein in einem Land, in dem eine Frau ihren Ruf verlieren kann, wenn sie ein Mann direkt anschaut. Dieser Ruf hat einen genauso hohen Stellenwert wie die Ehre des Mannes. Die Funktion der Mannesehre in einer Gesellschaft erschließt sich mir durchaus , in der die Sicherheit aller auf der Wehrhaftigkeit und dem Ruf jedes Einzelnen besteht. Denn die Mannesehre umfasst ja nicht nur Wehrhaftigkeit, sondern auch Verlässlichkeit und das nicht nur dem Clan gegenüber sondern auch dem Gast. Auch so etwas, was wir uns hier kaum noch vorstellen können. Die Funktion der Frauenehre allerdings erschließt sich mir bisher nicht. Es sei denn als Bestandteil der Mannesehre. Ein echter Mann nur, wer sich seiner Frau vollkommen sicher sein kann, wer sie vollkommen beherrscht. Auch das sollte uns mit Blick in unsere Vergangenheit nicht exotisch vorkommen.

Aber mit wem werde ich da drüben darüber reden können?

Also: Jede Menge Fragen an dieses Land und seine Menschen. Und die Gewissheit, dass alles ganz anders sein wird als ich es selbst bei intensiver Recherche vorwegnehmen kann. Deswegen reise ich ja so gern und auch gezielt ins Fremdartige. Damit mir mal wieder klar wird, dass ich als Mitteleuropäer einen sehr speziellen Blick auf die Welt habe und unter sehr speziellen Bedingungen lebe. Und vielleicht feststelle, dass der Lack auf unserer mitteleuropäischen Gesellschaft sehr dünn ist. Man denke an das ehemalige Jugoslawien.
Noch weiß ich nicht, ob technische Umstände, Reiseorganisation und persönliche Energie es erlauben, ein Blog zu führen. Wenn ja, dann wird man hier demnächst wieder etwas von mir lesen. Aus Afghanistan.
Wünscht mir Glück!

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